Völkerrechtliche Analyse des Vorwurfs des Völkermords gegen die Rohingya

IGH-Logo, Myanmar Umriss Landkarte, Myanmar Flagge s/w

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Deutschland ist am Mittwoch den 15. November 2023 dem von Gambia eingeleiteten Völkermord-Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Myanmar beigetreten. Der Beitritt erfolgte gemeinsam mit Kanada, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Mit diesem Schritt will Deutschland den IGH bei der Rechtsfindung in diesem wichtigen Verfahren unterstützen. (Pressemitteilung Auswärtiges Amt, 17.11.2023)

Konkret wird Myanmar vorgeworfen, seit 2016 einen Völkermord an der muslimischen Minderheit der Rohingya zu begehen und damit gegen die Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (“Genocide Convention”) zu verstoßen. Myanmar hat die Konvention 1956 ratifiziert.

Für die Völkerrechtliche Analyse des Vorwurfs des Völkermords gegen die Rohingya wollen wir uns die Klage Gambias gegen Myanmar im Kontext der Völkermordkonvention (UNGC) einmal genauer ansehen.  Drei Fragen sind dabei von zentraler Bedeutung:

  • Welche rechtlichen Grundlagen stützt Gambia in seiner Klage gegen Myanmar?
  • Was sind die wesentlichen Elemente, die zur Feststellung eines Völkermords erforderlich sind?
  • Welche Argumente untermauern den Vorwurf des Völkermordes?

 

• Welche rechtlichen Grundlagen stützt Gambia in seiner Klage gegen Myanmar?

Gambia stützt seine Klage gegen Myanmar auf mehrere rechtliche Grundlagen, die im Rahmen der Völkermordkonvention (UNGC) relevant sind. Die wichtigsten Punkte sind:
1. Artikel 9 der UNGC: Gambia beruft sich auf das Recht, das die Vertragsstaaten der Völkermordkonvention haben, um Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Konvention vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) zu bringen. Dies wird als ein bedeutender Schritt angesehen, da es die Verantwortung der Staaten für die Verhinderung und Bestrafung von Völkermord betont.
2. Verpflichtung zur Nichtbegehung von Völkermorden: Aus Artikel 1 der UNGC ergibt sich die vertragliche Pflicht der Vertragsstaaten, Völkermorde zu verhindern und zu bestrafen. Gambia argumentiert, dass Myanmar diese Pflicht verletzt hat, indem es systematisch gegen die Rohingya-Muslime vorgegangen ist.
3. Zurechnung von Handlungen: Die Klage bezieht sich auch auf die Zurechnung der Taten, die von den Militär- und paramilitärischen Gruppen in Myanmar begangen wurden. Gambia argumentiert, dass die Taten der Tatmadaw (das Militär von Myanmar) und der Mogh-Milizen unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen, was Myanmar rechtlich verantwortlich macht.
4. Erfüllung der Elemente des Völkermordtatbestands: Gambia muss nachweisen, dass die Taten, die gegen die Rohingya begangen wurden, die Elemente des Völkermordtatbestands erfüllen, insbesondere die Tötung von Mitgliedern der Gruppe und die Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten.
Diese rechtlichen Grundlagen bilden das Fundament für Gambias Klage und unterstreichen die internationale Verantwortung Myanmars im Kontext der Völkermordkonvention.

 

• Was sind die wesentlichen Elemente, die zur Feststellung eines Völkermords erforderlich sind?

Die wesentlichen Elemente, die zur Feststellung eines Völkermords erforderlich sind, basieren auf der Definition in der Völkermordkonvention (UNGC) von 1948. Diese Elemente sind:
1. Vorhandensein einer geschützten Gruppe: Der Völkermord muss gegen eine bestimmte Gruppe gerichtet sein, die durch ethnische, nationale, rassische oder religiöse Merkmale definiert ist. Im Fall der Rohingya-Muslime wird diese Gruppe als ethnisch und religiös identifizierbar angesehen.
2. Actus Reus (Tatbestand): Es müssen bestimmte Handlungen begangen werden, die in Artikel 2 der UNGC aufgeführt sind. Dazu gehören:
– Tötung von Mitgliedern der Gruppe.
– Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden.
– Lebensbedingungen schaffen, die darauf abzielen, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten.
– Maßnahmen zur Geburtenkontrolle ergreifen, die darauf abzielen, die Gruppe zu verhindern oder zu zerstören.
3. Dolus Specialis (Völkermordabsicht): Es muss die spezifische Absicht nachgewiesen werden, die Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Dies ist ein entscheidendes Element, da Völkermord als Absichtsverbrechen gilt. Die Absicht kann aus den Umständen, der Art der Handlungen und der Rhetorik der Täter abgeleitet werden.
4. Systematik und Organisation: Oft wird auch die systematische und organisierte Natur der Angriffe auf die Gruppe als wichtiges Element betrachtet. Dies bedeutet, dass die Taten nicht zufällig oder isoliert sind, sondern Teil eines größeren Plans oder einer Politik zur Vernichtung der Gruppe.
Diese Elemente müssen im Rahmen einer rechtlichen Analyse zusammen betrachtet werden, um festzustellen, ob ein Völkermord vorliegt. In der Analyse des Falls der Rohingya-Muslime wird besonders auf die Erfüllung dieser Kriterien geachtet, um die Völkermordabsicht und die entsprechenden Handlungen zu belegen.

 

• Welche Argumente untermauern den Vorwurf des Völkermordes?

1. Systematische und planvolle Tötungen: Es gibt einheitliche Muster von Gewalt und Entmenschlichung, die auf eine systematische Vorgehensweise hinweisen. Die Täter schreckten nicht vor inhumanen Taten zurück, wie dem Schlachten von Kindern vor den Augen ihrer Eltern, was die grausame Absicht hinter den Handlungen verdeutlicht.
2. Verwendung brutaler Waffen: Die Täter verwendeten besonders grausame Waffen wie Macheten und Messer, was darauf hindeutet, dass die Tötungen nicht nur tödlich, sondern auch besonders schmerzhaft und qualvoll waren. Dies wird als Indiz für die Völkermordabsicht gewertet, da die Wahl der Waffen die Brutalität der Taten verstärkt.
3. Zerstörungsabsicht: Die Zerstörungsabsicht hat sich nicht nur theoretisch sondern auch praktisch in den Handlungen der Tatmadaw (myanmarische Militär) manifestiert. Dabei muss die Vernichtung der Rohingya nicht in Gänze realisiert werden, um diese Absicht zu beweisen. Die Tatsache, dass die Rohingya in eine ausweglose Situation gedrängt wurden, ist bereits ein starkes Indiz für die Absicht, sie zu vernichten.
4. Humanitäre Hilfe und Vertreibung: Die Rohingya wurden systematisch von humanitärer Hilfe ausgeschlossen, was als Teil der Strategie zur Vernichtung interpretiert werden kann. Die Vertreibung in lebensbedrohliche Umgebungen, wie die Flucht nach Bangladesch, wird ebenfalls als Methode zur Herbeiführung von Tod und Leid angesehen.

Diese Argumente zusammen bilden eine umfassende Grundlage für den Vorwurf des Völkermordes gegen Myanmar.

 

Nachtrag: Marko Milanovic (Professor für Völkerrecht an der juristischen Fakultät der University of Reading) kommt im Blog des European Journal of International Law (Original / Google Übersetzung) zu einer anderen Schlussfolgerung:

Das wahrscheinlichste Ergebnis […] ist jedoch nach wie vor, dass Myanmar gewinnen wird, d. h. dass Gambia nicht in der Lage sein wird, klare und überzeugende Beweise dafür vorzulegen, dass an den Rohingya ein Völkermord (im Gegensatz zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen) begangen wurde – im Grunde dasselbe Ergebnis wie in den bosnischen und kroatischen Völkermordfällen.

27. August 2024